INTERKULTURELLE KOMMUNIKATION

Interkulturelle Kommunikationsprobleme sind meist darauf zurückzuführen, dass die Interaktionspartner jeweils von ihren eigenen kulturspezifischen Erwartungsstrukturen ausgehen. Um das Kommunikationsverhalten von Klienten aus anderen Kulturen erkennen, verstehen und adäquat interpretieren zu können, ist es wichtig, sich entsprechendes Wissen über die unterschiedlichen Kulturstandards anzueignen. Ebenso wichtig sind aber auch Verständnis, Geduld, Akzeptanz, nicht wertendes Verhalten sowie das Bewusstsein, dass wir das Verhalten anderer stets subjektiv wahrnehmen.


GESTIK

Die Gestik ist nicht nur hinsichtlich ihrer deutbaren Details, sondern auch in Anzahl und Intensität kulturell unterschiedlich. Für besondere Verwirrung sorgen Gesten häufig dann, wenn sie eine sprachersetzende Bedeutung haben wie etwa das in unserer Kultur übliche bejahende Kopfnicken, das verneinende Kopfschütteln oder das bei Ratlosigkeit praktizierte Achselzucken. Wie verunsichert sind wir daher, wenn ein Klient nein sagt und dabei mit dem Kopf nickt, gleichzeitig mit der Zunge schnalzt oder mit Daumen und Zeigefinger beider Hände seine Ohrläppchen berührt. Das Heranwinken von Personen, in unserer Kultur üblicherweise mit erhobener Hand und der Handfläche zum Körper, wird in Lateinamerika, in Nordafrika und in arabischen Ländern mit nach unten gekehrter Handfläche ausgeführt, also genau umgekehrt. Wenn man in arabischen Ländern eine Person gemäss unserem Deutungsmuster heranwinkt, kommt einer groben Beleidigung gleich, da man diese Geste nur für Hunde oder Prostituierte benutzt.

MIMIK

Die Mimik ist eine der wichtigsten Arten nonverbaler Signale, da sie eine sehr starke und differenzierte Ausdruckskraft besitzt. Sie zeigt den Gefühlszustand des Interagierenden, seine Reaktion auf empfangene Botschaften sowie seine Einstellung gegenüber dem anderen an. Dass der Mensch Gefühle durch die Mimik ausdrückt, ist universell; doch wie und wann er dies tut, ist kulturspezifisch und daher nicht universell verständlich. Vor allem in südostasiatischen Kulturen ist man bemüht, "sein Gesicht zu wahren". Dazu gehört es auch, die eigene Mimik zu beherrschen und sich emotionale Regungen jeglicher Art nicht anmerken zu lassen. Damit das innere Befinden nicht nach aussen gezeigt wird, liegt bei Menschen aus Südostasien meist ein Lächeln wie eine Maske über jeglicher Mimik. Das Lächeln ist Ausdruck des sozialen Lebens, ein Gesetz der Etikette. Daher wird auch Schmerz nur selten öffentlich gezeigt. Die Menschen wollen den Schmerz für sich behalten und niemanden verpflichten, daran teilzuhaben. Lächeln oder Lachen hat in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutung. So ist es in unserem Kulturkreis meist ein Ausdruck von positiven Gefühlen, von Freude, Heiterkeit oder Übermut. In asiatischen, orientalischen oder afrikanischen Kulturen kann es auch ein Ausdruck von Unsicherheit oder Unbehagen sein. Auch in unserer Kultur kann es vorkommen, dass Menschen aus Verlegenheit oder Unsicherheit lächeln oder lachen, allerdings entspricht dies nicht der Norm.

BLICKKONTAKT

Auch der Blickkontakt mit dem Gesprächspartner hat in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutung. In den westlichen Kulturen gehört der direkte Blickkontakt mit dem Kommunikationspartner zum guten Ton: ,,Schau mich an, wenn ich mit dir rede", lautet bei uns eine Verhaltensregel. Mit der Befolgung dieser Regel verstösst man allerdings bei anderen Völkern mitunter gegen die gute Sitte. In asiatischen, orientalischen oder afrikanischen Kulturen verbietet es oft der Respekt, mit dem Gesprächspartner Blickkontakt zu haben; vor allem, wenn es sich um eine Autoritätsperson handelt. So kann etwa ein asiatischer Klient den Blickkontakt aus Respekt vor dem höheren Status der Pflegeperson vermeiden. Es gilt in diesen Kulturen mitunter als höflich, beim Zuhören die Augen niederzuschlagen, seitlich am Gesprächspartner vorbeizuschauen oder im Raum umherzublicken. In orientalischen Kulturen ist vor allem auch der direkte Blickkontakt zwischen Männern und Frauen verpönt. Schaut eine Frau einem Mann direkt in die Augen, kann dies als sexuelle Aufforderung ausgelegt werden, ein Mann wiederum erweist einer Frau Ehre, wenn er sie ,,übersieht".

BERÜHRUNGSVERHALTEN

Ebenso gelten für das Berührungsverhalten kulturspezifische oder religiös bedingte Regeln. Körperliche Berührungen sind stets mit einem Eindringen in den intimen Bereich des Menschen verbunden. Die individuellen Grenzen sind dabei von Kultur zu Kultur höchst unterschiedlich. So findet etwa in islamischen Kulturen in der Öffentlichkeit kein Körperkontakt zwischen den Geschlechtern statt während der gleichgeschlechtige Berührungskontakt üblich ist. So gehört etwa das Hände halten unter Männern zu einer guten Gesprächsatmosphäre. Insgesamt ist in asiatischen Kulturen bei körperlichen Berührungen in der Öffentlichkeit Zurückhaltung geboten. Der in unserer Gesellschaft als höfflich geltende Händedruck zur Begrüssung kann in diesen Kulturen bereits als Verletzung der Distanz und als Eindringen in die Privatsphäre aufgefasst werden.

KÖRPERHALTUNGEN

Körperhaltung kann unteranderem Gefühle, die Verdeutlichung des Gesprochenen, die Persönlichkeit sowie die Wertschätzung des Gesprächspartners zum Ausdruck bringen. Auch wenn manche Ausdrucksformen universelle Gemeinsamkeiten haben, sind sie in ihrer Art und Weise sehr kulturabhängig. Sich mit den Händen in den Taschen mit jemandem zu unterhalten gilt in nahezu allen Kulturen als unhöflich und respektlos. Während diese Rüpelhaftigkeit in den westlichen Kulturen aber durchaus toleriert oder ignoriert wird, verbindet man in anderen Kulturen wie etwa in Afrika oder Südostasien damit immer noch eine grobe postkolonialistische Respektlosigkeit sowie ein massives Desinteresse am anderen. Als besonders peinlich wird die Situation dann empfunden, wenn dabei noch mit Gegenständen in der Hosentasche gespielt wird. Während man in Afrika häufig das Verschränken der Arme vor dem Körper bzw. vor der Brust als Missachtung des Gegenübers deutet, kann es in Südostasien wiederum als respektlos empfunden werden, die Hände während eines Gespräches hinter dem Körper zu verstecken. Die Beine an den Knöcheln bzw. an den Knien übereinanderzuschlagen und dabei die eigenen Schuhsohlen auf den Gesprächspartner zu richten, wird nicht nur in islamischen Kulturen als Beleidigung empfunden; auch in vielen Südostasiatischen Ländern ist es generell verpönt, mit dem Fuss bzw. mit der Fussspitze auf einen Menschen zu zeigen.

PARALINGUISTISCHE ASPEKTE

Auch die Art und Weise, wie der Mensch etwas sagt, kann von Kultur zu Kultur variieren. In manchen Kulturen können Gespräche sehr emotional und laut sein. So gilt etwa in arabischen Kulturen die Steigerung der Lautstärke als Zeichen von grossem Interesse und emotionalem Engagement. In asiatischen Kulturen wiederum kann lautes Sprechen als unhöflich oder sogar als aufbrausend empfunden werden. Während in Mittel- und Nordeuropa synchrones Ineinanderreden als unhöflich gilt, wird etwa in arabischen Kulturen ein überlappender Gesprächsstil als positive Beziehungsbotschaft und als Zeichen für Interesse verstanden. Kulturspezifische Unterschiede sind auch bei der Sprachmelodie zu beobachten: in den europäischen Sprachen wird eine Frage immer mit steigender Intonation ausgesprochen, in einigen indischen Sprachen fehlt dies. Dies kann dazu führen, dass die Frage eines indischen Klienten als Aussageverstanden wird und daher die Pflegeperson darauf nicht antwortet. Auch die Bedeutung des Schweigens ist kulturabhängig: in südostasiatischen Kulturen kann ein Vorschlag oder eine Aufforderung mit Schweigen bestätigt werden. Insbesondere Japaner und Finnen sehen im Schweigen einen wertvollen Beitrag zur Kommunikation.

ZEITERLEBEN

Missverständnisse können auch dann entstehen, wenn einander Menschen mit unterschiedlichen Zeitkonzepten begegnen. So etwa, wenn der eine Partner aus einer vergangenheits- bzw. gegenwartsorientierten, der andere aus einer zukunftsorientierten Kultur kommt. Menschen, die vorwiegend zukunftsorientiert sind, organisieren und planen. Wer dagegen eher in der Vergangenheit bzw. in der Gegenwart lebt, wird dafür wenig Verständnis aufbringen. Einem frommen Muslim mag es sogar als frevelhaft erscheinen, die Zukunft planend vorwegnehmen zu wollen, deren Kenntnis allein bei Allah liegt.

So hat auch Pünktlichkeit nicht denselben Stellenwert wie in anderen Kulturen. Verspätungen werden toleriert, da sie nicht als verlorene Zeit gelten, sondern als Zeit, der ihre eigene, gottgewollte Qualität zukommt.

Quelle: LENTHE, Ulrike, Traskulturelle Pflege, 1.Auflage 2011 Facultas Verlags- und Buchhandels AG, 108-11S.
ISBN 978-3-7089-0604-1
Die Texte wurden mit freundlicher Genehmigung des Facultas Verlags- und Buchhandels AG veröffentlicht